Stelle es der Herausforderung und lerne wieder zu sehen.


 
Foto. Carlos Muños. Quelle Archiv

Im Jahr 2017 hatte ich die Möglichkeit, mich für einen Freiwilligendienst in Deutschland zu bewerben. Ich hatte damals keine Zweifel, dass ich mich gut in der Kinder- und Jugendarbeit oder sogar im medizinischen Bereich einbringen könnte, weil ich bereits viel  Erfahrung in diesen Bereichen gesammelt hatte. Ich konnte mir alles vorstellen, außer der Arbeit mit Senioren. Ich empfand sogar ein bisschen Apathie gegenüber älteren Menschen. Das muss ich jetzt mit Scham sagen, auch weil ich Christ bin und als Christ finde ich das nicht richtig.

Als mir gesagt wurde, dass ich in Deutschland in einem Seniorenheim meinen Dienst machen könnte, musste ich viel überlegen. Als gläubiger Mensch bin ich aber sicher, dass Gott größere Pläne, als wir es uns selber vorstellen könne, für uns hat. Ich habe mich deshalb dafür entschieden, die Herausforderungen anzunehmen und meinen Dienst  mit Senioren zu absolvieren. Gott hatte einen Weg für mich eröffnet und ich wollte ihn laufen. 



Carlos Muñoz Mendoza ist 26 Jahre alt und kommt aus Bolivien. Dort hat er sein Studium in Pharmazeutischer Biochemie absolviert und ist seit länger als 10 Jahren in seiner Ortsgemeinde „Comunidad Católica Hijos de Dios“ (Katholische Ortsgemeinschaft Kinder Gottes) in Beni, Bolivien, ehrenamtlich engagiert und aktiv im Bereich der Jugendarbeit.




Als ich bei der Einrichtung angefangen habe, musste ich erste Schwierigkeiten, wie die Sprache und den Kulturshock, überwinden. Diese habe ich aber Schritt für Schritt überwunden. Dazu kamen Tätigkeiten in der Einrichtung, die mir nicht gefallen haben. Ich musste Vorurteile gegenüber Senioren, die lange Jahren in meinem Kopf waren, abbauen. In Bolivien ist die Arbeit mit Senioren nicht so hoch angesehen und es war für mich noch schwieriger, weil ich ein Studium als Pharmazeut hatte. Heute kann ich aber sagen, dass ich die Menschen bewundere, die in der Seniorenarbeit tätig sind und ich sehr stolz darauf bin, diese Erfahrung gemacht zu haben.
Manchmal habe ich mich gefragt, warum ich das alles mache, aber gleichzeitig habe ich  die Senioren mit jedem Tag mehr und mehr ins Herzen geschlossen. Dann habe ich begriffen, dass es nicht darum geht, jeden Tag zu überwinden, sondern jeden Tag zu lernen und mit den Menschen zu genießen. Ich habe dann bemerkt, dass Gott dadurch in meinem Leben wirken wollte. Heute im Rückblick verstehe ich alles ein bisschen besser. Nach diesem Dienst kann ich sagen, dass ich ein emphatischerer und sensiblerer Mensch bin als vorher. Ich habe gelernt, Verantwortung zu übernehmen - nicht nur über meine Arbeit sondern auch über mich selbst als Person. Ich bin reifer geworden und ich habe gelernt, meinen Stolz mit Demut zu ersetzen.
Ich habe für mich verstanden, dass es nicht nur um uns geht. Wir sind für etwas Größeres da. Deshalb: wenn die Situationen schwieriger werden, sollen wichtige Veränderungen in uns stattfinden.
Die Arbeit mit älteren Menschen hat mein Herz weicher gemacht und meine Mentalität und Perspektive geändert. Die Tätigkeiten können hart sein, aber alle Menschen verdienen es, gut behandelt zu werden und Aufmerksamkeit und Geduld entgegengebracht zu bekommen. Wir alle werden uns irgendwann in ihre Lage hineinversetzen. Ich habe gelernt, dass wir ihre Tagen schöner und glücklicher machen können, indem wir mit ihnen reden, ihnen zuhören oder einfach etwas zusammen singen. Ich habe hier gelernt, was es bedeutet, den Nächsten zu dienen. 


Dann kam er für ein Jahr nach Deutschland und hat seinen Freiwilligendienst in der Villa Ausonius, zwei ambulant betreuten Wohngruppen für Menschen im Alter, in Oberfell, abosolviert. Sein Dienst war für ihn eine berührende Erfahrung, die seine Perspektiven und Ideale auf eine andere Bahn gelenkt haben.
 

Eine von den vielen Erfahrungen war mit einer Bewohnerin des Hauses. Sie wollte sich nicht von männlichen Mitarbeitern helfen lassen. Aber an einem Tag durfte ich ihr helfen. Nach und nach war sie dazu bereit, mir mehr über sich zu erzählen und irgendwann waren wir am Quatschen und haben wir uns Witze erzählt. Ich habe jedes Mal die Zeit mit ihr sehr genossen. Als ich sie kennen gelernt habe, war sie im Rollstuhl. Ich habe versucht, sie immer dazu zu motivieren, ein bisschen zu laufen und den Rollstuhl zu verlassen. Ich habe ihr gesagt, sie schaffe das wohl und ich wollte sie laufen sehen, bevor ich zurück nach Bolivien fliege. Und dann ist sie  wieder gelaufen und hat den Rollstuhl verlassen. Dann habe ich für mich gedacht, dass sich alles gelohnt hat.

Nach meinem Dienst habe ich den Wusch, älteren Menschen in meinem Heimatsdorf in Bolivien helfen zu können. Sie verdienen eine gute Behandlung, besonders in ihren letzten Lebensjahren. Sie werden manchmal vergessen, aber wir sind hier, weil sie ihr Leben auch dafür gegeben haben.

Im Jahr 2018 Gott hat mir nicht nur die Möglichkeit geschenkt, einen Freiwilligendienst zu absolvieren, sondern auch neue Menschen, Orte und eine neue Kultur kennenlernen zu dürfen. Aber vor allem hat mich dieser Dienst sehr verändert und hat mir neue Ideen gegeben, für die ich kämpfen möchte. Ich möchte dafür kämpfen, dass ältere Menschen in meinem Heimatsdorf eine bessere Lebensqualität haben können. Ich habe in Deutschland viel gelernt, aber vor allem wurden mir wunderschöne Menschen in den Weg gestellt, die zu meiner Familie wurden und die ich für immer im Herzen geschlossen habe. Gott segne Deutschland und alle Menschen, die dazu beigetragen haben, dass ich eine bessere Version von mir geworden bin.  
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-Ursprünglicher Text: Carlos Muñoz.
 Übersetzung und Stilkorrektur: Hannah Wiegand